Feinkost //

19.10.2023

Salz, Rauch und sehr viel Zeit

Cecina de León IGP

Das „bestgehütete Geheimnis“ Spaniens, in dessen Lebensmittel- und Küchen-Kosmos man täglich jede Menge köstlicher Entdeckungen machen kann, ist Cecina de León.


Ein noch junges Produkt mit uralten Wurzeln

Wer kennt ihn nicht, den wunderbaren „jamón ibérico“, der vielen Gourmets als der beste Schinken der Welt gilt. Anders als man vielleicht annehmen dürfte, bezeichnet „ibérico“ nicht etwa die Herkunft (Iberische Halbinsel), sondern das Tier, das Iberische Schwein, ein alte Schweinerasse, die im Vergleich zu anderen herkömmlichen Hausschweinrassen, weniger groß, dafür umso flinker ist. Ihre Züchter würden argumentieren, dass sie auch klüger und glücklicher ist – ein Blick auf ihre natürliche Umgebung sei der beste Beweis. So weit das Auge reicht, lichte, beweidete Kork- und Steineichenhaine – und „so weit das Auge reicht“ meint genau das: über zwei Millionen Hektar intakte Natur, eine uralte Landschaft, in der sich die Schweine sommers wie winters in völliger Freiheit bewegen.

Wer aber kennt das Gegenstück vom Rind, die „cecina“? Und was genau ist „cecina“? Wie viele der hervorragendsten Produkte aus Spanien hat man auch Cecina, gepökeltes und geräuchertes Rindfleisch, mit einer geschützten, geografischen Angabe geadelt: Seit 1995 schmückt ein IGP-Siegel die „Cecina de León“, deren Ursprünge allerdings sehr viel älter sind. Der Name dieses „Über-Lebensmittels“ leitet sich von „siccina“, der lateinischen Bezeichnung für getrocknetes Fleisch, ab, und die Kombination aus Salzen und Räuchern, die heute von den Produzenten aus León angewandt wird, ist nahezu identisch mit der Methode, die – natürlich müssen die alten Römer erwähnt werden! – der Feldherr, Staatsmann, Geschichtsschreiber und vor allem auch Landwirt, Cato der Ältere, in seinem Werk „De agri cultura“ vor über 2000 Jahren beziehungsweise der Schriftsteller Columella in seinem zwölfbändigen Ratgeber „De re rustica“ etwas über 200 Jahre später beschreiben. 2018 fanden sich in einer Siedlung aus der Eisenzeit (La Peña del Castro) in León Reste von Pökelfleisch – was die vermeintlich uralte Tradition dieses Lebensmittels dann auch wissenschaftlich untermauerte.

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Das gepökelte und geräucherte Rindfleisch ist seit 1995 mit einer geschützten, geografischen Angabe, dem IGP-Siegel, geadelt. 


Vom Über-Lebensmittel zur Spezialität

Cecina wurde früher tatsächlich in ganz Nordspanien gegessen. Anders als im Süden, wo man (Wild-) Fleisch einfach in der Sonne trocknen konnte, um es als „tasajo“ weiterzuverwenden, war man aufgrund des eher feuchten atlantischen Klimas im Norden dazu gezwungen, das Fleisch von – meist alten, meist domestizierten – Tieren (Rinder, Ziegen, Schafe, Maultiere oder Pferde), durch Räuchern beziehungsweise Salzen haltbar zu machen. Der größte Teil der mittelalterlichen Bevölkerung Spaniens aß denn auch kein anderes Fleisch als Cecina oder Tasajo, und dieses oft nur in Eintopfgerichten, in denen sich das damals recht zähe Fleisch – der Schriftsteller und Anthropologe Julio Caro Baroja beschrieb es als „Nahrung für Krieger, die kaum Zeit für etwas anderes haben als zu kämpfen“ – durch langes Kochen mehr oder weniger in seine Bestandteile auflöste. So findet sich Cecina selbstverständlich auch in verschiedensten Kochbüchern aus dem frühen 17. Jahrhundert als wichtiger aromatischer Bestandteil der kulinarischen Klassiker „olla podrida“ und „cocido madrileño“. Und ab dem 18. Jahrhundert taucht Cecina als wertvolles Gut in lokalen Testamenten, Inventaren, Verordnungen, Beschreibungen von Hochzeiten und anderen Festen auf. Die sogenannten „maragatos“ aus Astorga waren berühmt für die Qualität ihrer selbstgemachten Cecina und begannen, sie auf Reisen quer durch Spanien zusammen mit Salz, Knoblauch und Pimentón zu verkaufen. Während die Herstellung von Cecina in den meisten Orten nach der Einführung moderner Kühltechnik ausstarb, überlebte sie in León als Familienhandwerk. Das Rind wurde zu Hause mit Roggenmehl und Rübenschnitzeln gemästet und an einem kalten Herbsttag geschlachtet, traditionellerweise bei abnehmendem Mond. Die Hinterviertel wurden dann gesalzen, in eine mit Knoblauch, Oregano und Pimentón gewürzte Essig-Marinade („adobo“) getaucht und dann geräuchert. Die ersten Cecinas wurden dann im späten Frühjahr aufgeschnitten, die fettesten Stücke aber reichen bis weit in den Herbst und Winter hinein.


Fleisch, Salz, Rauch und …

Heute wird Cecina aus dem Fleisch von mindestens vier Jahre alten Rindern (Mindestgewicht des Tiers: 400 Kilogramm) hergestellt, das von Natur aus mit Fett durchzogen ist, wodurch es während der Reifung sehr zart bleibt. Um das Gütesiegel „Cecina de León“ tragen zu dürfen, muss das Fleisch als Extra (1A) eingestuft sein – die höchste Qualitätsstufe in Spanien – und von den Erzeugern als ganze Keulen gekauft werden, die dann in vier verschiedene Teilstücke mit jeweiligem Mindestgewicht zerlegt werden.

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Das Fleisch muss als Extra (1A) eingestuft sein und von den Erzeugern als ganze Keulen gekauft werden, die dann in vier Teilstücke mit jeweiligem Mindestgewicht zerlegt werden. 

Die massiven Hinterviertel, in Spanien „bolas“ genannt, bieten einen beeindruckenden Anblick, wenn sie in den Pökelräumen an Fleischerhaken aufgereiht werden. Jedes Stück hat eine etwas andere Form und eine andere Verteilung des cremefarbenen bis leicht gelblichen Fetts. Das ideale Tier ist vier bis fünf Jahre alt, das Fleisch perfekt marmoriert, also gleichmäßig von Fett durchzogen. Bei der manuellen Schlachtung wird jedes Hinterviertel in vier Teile zerlegt: die „tapa“ (oberer Teil; entspricht, nach deutschem Schnitt, der Rose), die „contra“ (unterer Teil; Kugel), die „babilla“ (das Bürgermeisterstück) und die dreieckige „cadera“ (die Hüfte beziehungsweise Blume). Die zugeschnittenen, entbeinten und mit einem nummerierten Siegel und einer Schnurschlaufe zum Aufhängen versehenen Stücke werden in den kühlen Salzraum gebracht, wo die Reifung beginnt.

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Die massiven Hinterviertel, die „bolas“, bieten einen beeindruckenden Anblick, wenn sie wie hier im Mercado de la Boqueria in Barcelona an Fleischerhaken aufgereiht werden.

Nun wird grobes Salz großzügig unter und über die Rindfleischstücke gehäuft, bis sie einem schneebedeckten Berg („montaña“) gleichen. Nach drei bis sechs Tagen, je nach Gewicht der einzelnen Keulen, wird das Fleisch aus diesem Salzberg wieder ausgegraben, von Hand in lauwarmem Wasser gewaschen und einen Tag lang getrocknet. In den nächsten 30 bis 60 Tagen wird die Salzbehandlung indirekt fortgesetzt: Das Rindfleisch hängt in sehr feuchten (82 % Luftfeuchtigkeit) und kühlen (5-6 °C) Räumen, damit das Salz nun ganz durch den faserigen Muskel des Rinds dringen kann. Während dieser Ruhezeit („asentamiento“) entwickelt das Fleisch samtige blaue und graue Schimmelflecken und tiefes, komplexes, etwas an Leder erinnerndes Aroma.

Anschließend wird es geräuchert, das Verfahren unterscheidet sich je nach Produzent: Entweder wird ein offenes Feuer im Räucherraum unter den hängenden Cecinas entfacht, wobei der Rauchfluss dann in den nächsten Wochen durch das Öffnen und Schließen der Tür kontrolliert wird. Oder aber man leitet den Rauch aus einem Schornstein in die versiegelte Räucherkammer, um einen sehr kontrollierten, leichten Rauchfluss für eine festgelegte Zeitspanne von 14 bis 15 Tagen zu gewährleisten. Wichtig ist vor allem der richtige Rohstoff: Eichenholz ist das Maß aller Dinge, um der Cecina ihr so zartes wie typisches Raucharoma zu verleihen.


… Zeit!

Das letzte Mosaik- beziehungsweise Puzzlestück der „Cecina-Werdung“ ist die Trocknung, die von vielen Erzeugern immer noch auf altbewährte Weise gehandhabt wird. Temperatur und Trockenheit in den großen, „secaderos“ genannten Räumen, die dem Südwind aus der Sierra de Teleno ausgesetzt sind, werden mittels „abrir y cerrar ventanas“, dem Öffnen und Schließen der Fenster gesteuert, wie der Reifungsprozess früher genannt wurde. Die Reifung beginnt in den kalten Monaten, und wenn es wärmer wird, sickert das Fett aus dem Fleisch. Andere Erzeuger, vor allem in Gegenden abseits des trockenen Meseta-Klimas, greifen auf kontrollierte Kühlsysteme zurück, um eine ganzjährige Produktion zu gewährleisten. Letztlich ist die Reifung eine Frage von Zeit und Geduld. In der Regel gehen fast alle Erzeuger weit über die vom „pliego de condiciones“, der IGP-Vorschriften bestimmten, fünf Monate hinaus, damit das Rindfleisch sein volles Potenzial entfalten kann, manch einer verlängert die auf 16 oder gar 18 Monate. Und das ist auch gut so, denn so entsteht eine stilistische Vielfalt, die vor allem dem Genießer zugute kommt: In einigen Fällen werden die halbgepökelten Stücke mit Schmalz oder einer Mischung aus Olivenöl, Schmalz und Essig bestrichen, wieder andere Produzenten räuchern die einzelnen Stücke in engmaschigen Netzen, um eine besonders glatte Oberfläche und Form zu erhalten. Aber allen ist ein entfernt an Leder erinnerndes Aussehen, ein wunderbar intensiver, tiefgründiger Fleischgeschmack und ein fast ätherisches Aroma zu eigen. Einmal aufgeschnitten glänzt das Fleisch leuchtend purpurrot und ist von cremefarbenen Inseln und Fettadern durchzogen: Cecina, Rindfleisch in seiner vielleicht edelsten, sicherlich köstlichsten Form: deutlich intensiver als Bresaola, Bündnerfleisch oder Viande de Grison und von einer feineren, zarteren Textur als Pastrami, Pastirma oder Biltong. Jeder Zuschnitt eines der vier verschiedenen Stücke hat eine etwas andere Textur, jeder ein etwas anderes, absolut himmlisches Aroma!

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Cecina ist Rindfleisch in seiner vielleicht edelsten, sicherlich köstlichsten Form: wunderbar intensiv, von zarter Textur, mit einem fast ätherischem Aroma. Aufgeschnitten glänzt das Fleisch leuchtend purpurrot und ist von cremefarbenen Inseln und Fettadern durchzogen. 

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Jeder Zuschnitt eines der vier verschiedenen Stücke hat eine etwas andere Textur, jeder ein etwas anderes, absolut himmlisches Aroma! 

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Die Reifung braucht Zeit und Geduld. Fast alle Erzeuger gehen weit über fünf Monate hinaus, damit das Rindfleisch sein volles Potenzial entfaltet. 

Cecina – und ihre lokalen Spezialitäten

Obwohl die Gewohnheit, eine breite Palette von Fleisch und Wild zu pökeln, in Spanien fast ausgestorben ist, haben diese besondere Cecinas als lokale Spezialitäten überlebt:

Cecina de Villarramiel: gepökeltes Pferde- und Maultierfleisch ist eine Spezialität dieser Stadt in Palencía in Kastilien. Das Fleisch, das von älteren Pferden (12 bis 14 Jahre) stammt, wird acht Monate lang gepökelt und geräuchert. Diese Cecina (mit Marca de Garantía) ist kompakt, purpurschwarz, von weicher Konsistenz und süßem Geschmack. Sie wird auch in Teruel (Aragón) hergestellt.

Cecina de Chivo de Vegacervera: Für ein gutes Stück „cecina de chivo“ wird Fleisch von Ziegen verwendet, die älter als drei Jahre sind, egal ob männlich oder weiblich; in der Regel werden nicht mehr zuchttaugliche Weibchen oder kastrierte Männchen (daher der volkstümliche Name „cecina de castrón“) verwendet, wobei das Schlachtgewicht mindestens 22 Kilogramm betragen muss. Verwendet werden die Rippen und das Hinterviertel, klassische Ingredienzen des „cocido montañés“.

Weitere Informationen unter Cecina de León.

 

 

 



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